20 March 2011

36. Indien 1

Man könnte eigentlich meinen, dass bei soviel Reiseerfahrung auch eine gewisse Routine in die ganze Vorbereitung vor dem Abflug kommt: Nicht so bei mir, denn trotz detailliertester Packliste beschleicht mich sofort nach Schliessen der Wohnungstür das drängende Gefühl, irgend etwas Wichtiges vergessen zu haben. So wird denn auch der Taxifahrt durch das abendliche Verkehrsgewühl in Manila vollständig dem Thema gewidmet, was ich denn dieses Mal vergessen haben könnte, obwohl mir ehrlicherweise noch gar nie etwas solchiges passiert ist. Erst nach dem Check-In im Flughafen löst sich langsam die Beklemmung, weicht der Gewissheit, dass trotz der nur 9.4 kg meines Sackes alles dabei ist, was ich für meine 3-monatige Reise alles brauche und der gemütlichere Teil der Reise beginnt, nämlich die Vorfreude, wie ich Indien wohl diesmal erleben werde und was mich wohl Spannendes erwarten wird. Nun gilt es nur noch, die Pflichtübung von 2 Flügen mit sogenannten no-frills airlines hinter mich zu bringen, eine Nacht in Kuala Lumpur zu übernachten und dann lande ich endlich in diesem unglaublichen Land, das weltweit mit nichts anderem vergleichbar ist und Kalkutta öffnet mir seine Pforte !
Eins kann ich gleich vorwegnehmen: In den nächsten 3 Monaten werde ich keinen Tropfen Regen sehen, der Himmel wird fast immer wolkenlos und sternenklar sowie die Temperaturen meist in einem sehr angenehmen Bereich sein. Also dann mal rein ins Vergnügen !

Kalkutta, 16.-21. Dezember
Willkommen in Indien, dem buntesten, abwechslungsreichsten, schillerndsten und krassesten Kaleidoskop an menschlichen Kreaturen, das man sich auf Erden wohl vorstellen kann !
Bereits am ersten Tag zieht es mich tief rein: Beim Spazierengehen gerate ich mitten in einen hinduistischen Umzug, wo mir niemand der Angefragten sagen kann, wegen welchem Gott oder zu welchem Zweck dieses Fest veranstaltet wird. Mitten in dieser Menge kommt mir eine Leichenprozession entgegen, wo der Leichnam für alle gut sichtbar durch die Strassen gefahren wird. Das Ganze ist angefüllt mit abertausenden von kunterbuntesten Menschen, die dem ganzen beiwohnen. Wenn das so weitergeht .....
Die nächsten Tage sind angefüllt mit Besichtigungen, langen Spaziergängen und sorgfältiger Akklimatisation an diese verrückten kulturellen Gegebenheiten. So besichtige ich unter anderem auch die Wirkungsstätte Mutter Theresas, wo ich mit einer der altgedienten Schwestern ein interessantes Gespräch über den Sinn des Lebens habe. Kalkutta ist eigentlich gar nicht so extrem, wie ich mir das vorgestellt habe. Es kann aber auch sein, dass ich durch mein Leben in Manila schon etwas abgestumpft bin. Auf jeden Fall liegen auch nicht mehr Leute auf der Strasse rum als in Manila und allgemein sind die Unterschiede nicht so gross. Selbst bei den Autoabgasen punktet Kalkutta, nur der in den Augen stechende und beissende Nebel, der am Abend in den Strassen liegt und von den unzähligen offenen Feuern stammt, ist schlimm. Hierbei punktet Manila. Auf jeden Fall ist mein indischer Wiedereinstieg vollauf geglückt und ich freue mich auf meine nächsten 3 Monate hier in Indien, die mich so etwa der Ostküste entlang runter und an der Westküste entlang hoch bringen sollen. Am Schluss sollte ich dann wieder in Kalkutta landen, von wo aus ich wieder zurückfliegen werde. So jedenfalls mein Plan...

Puri, 21. - 25. Dezember
So mache ich mich von Kalkutta aus auf meine erste Etappe südwärts, und zwar klassisch indisch im Zug ins 7 Stunden entfernte Puri, das im Bundesstaat Orissa direkt am Meer liegt. Somit ist auch die Länge der Reise verglichen mit den Distanzen in Europa bestenfalls mit einer Vorortsstrecke zu vergleichen.
Doch auch in Indien ist Vorweihnachtszeit und viele zieht es zu den Liebsten in die Provinz. Viele in Indien meint sofort Millionen und so teile ich denn auch den riesigen Howrah Bahnhof in Kalkutta mit abertausenden von Indern, alle turmhoch mit Schachteln und sonstigen abenteuerlichen Behältnissen beladen. Nach einigem Durchfragen und Überwindung finde ich auch meinen Zug. Auch im harten Kampf um den letzten Quadratzentimeter Stehfläche bin ich nicht involviert, denn gottlob habe ich einen reservierten Sitz. Mit Erstaunen nehme ich zur Kenntnis, dass sich nach nur 7 Minuten Verspätung der Zug bereits in Bewegung setzt. Haha wenn ich denke, was für einen halben Volksaufstand in der Schweiz deswegen ausbrechen würde.... Im Fahrpreis von USD 14 eingeschlossen sind ein Zvieri und ein wirklich reichhaltiges Nachtessen, ebenso wie die am Schluss standesgemässe Verspätung von 1 Stunde und 20 Minuten auf die geplante 7 stündige Fahrt...
Der Strand hier ist sehr grosszügig und die beeindruckenden Wellen entsprechen durchaus internationalen Ansprüchen - doch wie soll ich sagen, wir sind halt in Indien: das heisst, ein unglaublicher Dreck überall; kein nur halbwegs anständiges Strandlokal, sondern nur solche halbverfallenen Essbaracken; Leichen, die direkt neben der Strandpromenade verbrennt werden und dank fehlendem Brennmaterial ihre Extremitäten für alle gut sichtbar von sich strecken und einen netten süsslichen Geruch von verbranntem Fleisch verbreiten; Kühe, die überall hinscheissen; unglaublich verwahrloste Bettler, die sich kaum noch bewegen können etc..... Wer aber meint, dass das schon der Höhepunkt ist, war noch nie in Indien. Direkt an den Touristenstrand angrenzend ist das Fischerdorf und sowas habe selbst ich noch nie gesehen ! Die Leute leben schlicht inmitten von Abfallbergen und wer meint, dass sich die am Strand einfach so hinhocken um sich auszuruhen der hat sich getäuscht, denn die machen tatsächlich ihr Häufchen inmitten aller Menschen, den frischen Fischen, die verkauft werden und sonstigen Abfällen. Junge Mädchen und alte Männer hocken sich beidermassen hin und scheissen vor aller Augen mitten auf den Strand ! Unglaublich ! Wie die Hunde ! Da verbreitet selbst der eigentlich romantische Sonnenuntergang alles andere als eine romantische Stimmung sondern nur den Entschluss, dieses einfach nicht mehr sehen und riechen zu müssen. So finde ich denn am Touristenstrand grad rechtzeitig zum Sonnenuntergang einen Stuhl, um mich, eingepackt in meinen Pullover, vom Gesehenen erholen zu können.
Eine andere Dimension hat denn aber der aus dem 12. Jahrhundert stammende Sonnentempel von Konark, der mit eindrücklichen erotischen Darstellungen aufwartet und mir so am nächsten Tag einen ersten touristischen Höhepunkt meiner Indienreise beschert.
Leider muss ich meine kurz zuvor geschmiedeten Reisepläne schon verschieben, denn ich bin offensichtlich nicht der einzige, der Sylvester am Strand verbringen will und daher sind auch alle Hotels im romantisch tönenden Visakpatnam hoffnungslos ausgebucht. So versuche ich halt mein Glück in dem im Landesinneren gelegenen Hyderabad und tatsächlich finde ich noch einen Flug. Das heisst aber, dass ich 4 Tage in einer unbekannten indischen Kleinstadt namens Bhubaneswar mit etwas mehr als 1 Million Einwohnern verbringen muss.

Bhubaneswar, 25. - 29. Dezember
Mit Zufall und Hartnäckigkeit finde ich in dieser Hauptreisezeit für Inder im zweiten Anlauf ein mir nachts noch ruhig erscheinendes Hotel. Doch als ich erst nach einer Reklamation wegen Ruhestörung nachts um 2 schlafen kann bevor der Morgenlärm wieder hereinbricht, wechsle ich am anderen Tag mein Zimmer mit Hoffnung auf einen geruhsameren Schlaf. Das ist dann auch schon der Höhepunkt neben geruhsamen Lesens auf der Dachterrasse in dieser sonst so gesichtslosen, furchtbar umtriebigen, armseligen und schmutzigen Stadt. So langsam sehe ich die riesigen Probleme, die Indien im Vergleich zu China noch vor sich hat, um mit dem Wachstum die unzähligen Infrastrukturprojekte zu finanzieren um auch grossflächig Resultate zu erzielen. Hier ist natürlich China mit seiner straffen und fokussierten Regierung sowie einer Mentalität von Leuten mit ganz wenig kulturellem Ballast deutlich im Vorteil. Haben doch auch gerade wieder die Commonwealth Games gezeigt, dass die paar wenigen, hervorragend ausgebildeten IT Spezialisten von Bangalore und Hyderabad in einer Bevölkerung von über einer Milliarde Menschen noch keinen grossen Umschwung zustande bringen können. Die Regierung auf den verschiedenen Ebenen ist hier leider auch nicht viel weiter als auf den Philippinen und beschäftigt sich hauptsächlich mit den unzähligen Betrugs- und Korruptionsvorwürfen an seine Volksvertreter und nicht mit für das Land so zentralen strategischen Fragstellungen und Lösungen. So findet man auch heute noch überall eine Infrastruktur und Gesetze an, die den mittleren Level eines 3. Weltlandes noch nicht verlassen haben.

Hyderabad, 29. Dezember - 3. Januar
Ungewöhnlich für mich zu reisen leiste ich mir einen Flug, aber auch nur, weil am Jahresende alle Züge hoffnungslos ausgebucht sind und selbst in der Warteliste wäre ich auch nur auf Platz 52 erschienen. So bin ich flugs in Hyderabad und verbringe hier ein paar Tage in einer Stadt ohne viele Sehenswürdigkeiten, einem äusserst betriebsamen Muslim Markt, besuche Cyberabad und quäle mich durch ausnahmslos indisches Essen, denn ausländische Touristen gibt es schlicht wenig. Waren es beim Essen in Taiwan ausschliesslich Sprachschwierigkeiten so sind es hier unterschiedliche Bedeutungen: wenn ich "absolutely not spicy, zero spicy !" bestelle kommt in der Regel ein Essen, das meinen Mund schon ganz schön feuern lässt: Sandwiches, Käse, harmlose Suppen, Beef Parmigiana, Gebäck - sprich eigentlich alles - ist hier mit diesem Teufelszeug gefüllt, das den Mund brennen und mir den Schweiss aus den Poren laufen lässt. Bei denen ist offensichtlich der Mund schon derart ausgebrannt, dass die gar nicht mehr zwischen mild und nicht scharf unterscheiden können. So gibt es halt sowohl zum Nachtessen wie zum Frühstück feine langweilige Käsesandwiches.

Bangalore, 4. - 7. Januar
Meine Reise führt mich im Nachtzug weiter nach Bangalore. Doch bereits im Vorfeld schwahnt es mir, dass ich den falschen Zug gebucht habe, denn der ist bereits schon in Delhi gestartet, und das heisst in Indien in der Regel Verspätung ! Tatsächlich ist es denn auch so und mit mehr als 4 Stunden Verspätung tuckern wir aus dem Bahnhof. Nur erstaunlich, wieso dass dies ein Zug ist, der sich berühmt "Superfast Express" nennt..... Bangalore selbst lässt mich nach den vielen indischen Städten, die ich schon gesehen habe, schon erstaunen, denn bis auf den krankhaften Verkehr und der Huperei ist alles anders: Nette Gehsteige, praktisch kein Dreck der herumliegt, grosse Grünflächen, moderne Läden und Shopping Centers, saubere und gepflegte Leute. Was für eine Erholung, etwas anständiges zu essen, am Nachmittag im Cafe zu sitzen und einen Cappuccino zu schlürfen und danach nicht durch tonnenweise stinkenden Müll zurück zum Hotel zu laufen. Vielleicht werde ich auch einfach nur älter und die über 3 Jahre in Manila zeigen ebenfalls ihre Wirkung....
Sonst gibt es auch hier touristisch wenig zu erkunden ausser dem grössten IT Center von Indien, aber das sind von aussen auch nur Glastürme, wie man sie überall auf der Welt findet.

Chennai, 7. - 11. Januar
So mache ich mich denn bald wieder auf den Weg Richtung Küste nach Chennai, dem frühreren Madras im Bundesstaat Tamil Nadu. Chennai ist wieder so das richtige Indien mit allem Lärm und Chaos, wie ich das mittlerweilen schon zur Genüge kenne. Erstaunlicherweise finde ich in all diesem Gewimmel sogar noch ein geruhsames und klimatisiertes Restaurant, das westliche Speisen serviert und ich wiedereinmal mehr auf das scharfe indische Essen verzichten kann. Der Nachteil ist nur der, dass es ein absolut typisches amerikanisches Restaurant ist, wo sich der amerikanische Küchenchef brüstet, vorher "Chef" in einem McDonalds gewesen zu sein. Gottlob ist aber das Essen etwas geniessbarer und so wird denn dieses uramerikanische Restaurant meine kulinarische Oase hier in Chennai. Touristisch bietet dieses Stadt auch nicht so besonders viel und so nehme ich bald wieder den Bus nach Puducherry.

Puducherry, 11. - 15. Januar
Etwas erstaunt bin ich dann schon, als ich für eine fast 4 stündige Reise einen der wenigen klimatisierten Busse besteige, der exakt so gebaut ist wie ein westlicher Stadtbus. So ist denn die Fahrt noch ganz gemütlich bis ich in einer für Indien sehr seltsamen Stadt ankomme, die eine frühere französische Kolonie war und auch heute noch neben den vielen französischen Touristen sehr französisch wirkt. Das heisst aber auch, dass in diesem französischen Viertel der Verkehr massiv reduziert ist und so beginnt für einmal der ganz normale indische Wahnsinn nicht gleich am Hoteleingang und der Tag startet mit Baguette und Croissant.
Verkehrstechnisch hat es mich hier aber wieder voll erwischt, denn die Tamilen feiern ihr Sylvester am 14. Januar. Die Konsequenz ist aber wieder dieselbe, nämlich ausgebuchte Hotelzimmer und überbuchte Züge. So bleibe ich denn halt einfach noch etwas länger in meinem Zimmer mit wunderschönem Meerblick und geniesse es, den Wellen zuzusehen und zu -hören.

Tiruchirappalli, 15. - 17. Januar
Meine nächste Etappe führt mich in die Hauptstadt von Tamil Nadu, nach (siehe Titel), die aber gottlob kürzer und weniger kompliziert auch als Trichy benannt ist und das macht es mir bedeutend einfacher, mein Reiseziel für die des Englisch nicht mächtigen Busangestellten fehlerfrei auszusprechen. So gondle ich denn im unklimatisierten Bus Richtung meines heutigen Zieles und bezahle für die 5 stündige Fahrt sage und schreibe nicht mehr als USD 1.30 ! Das ist asiatischer Rekord ! Da ich beim Einsteigen auch einer der Ersten bin, kann ich mir sogar einer der wenigen Sitze mit genügend Beinfreiheit sichern !
Dieses Stadt besticht vor allem durch den höchsten Hindutempel in Tamil Nadu sowie durch eine riesige Tempelanlage, die eigentlich eher einer kleinen Stadt denn einem Tempel gleicht. Ansonsten ist diese Stadt wieder Indien pur !





1: Karte von Indien mit der Reiseroute
2-6: Kalkutta
7-8: Puri
9-10: Sonnentempel in Konark
11-14: Hyderabad
15-17: Trichy

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